Die „Freien Bürger Kassel“, hervorgegangen aus „Querdenken561“, planen derzeit eine Großdemonstration am 20.03.2021 in Kassel. Unter dem Motto „Frühlingserwachen – die Welt steht auf“ wird in einem Anflug von Größenwahn angekündigt, Kassel werde an diesem Tag zum Zentrum einer „weltweiten Mega-Demo“. Dazu werden in einem eigenen Telegram-Channel mit aktuell 13.000 Mitgliedern weitere Demonstrationen und Kundgebungen in angeblich mehr als 30 Ländern beworben. Auch wenn hinter den Ankündigen von Versammlungen in den meisten Ländern keine Strukturen stehen, muss gegenwärtig doch damit gerechnet werden, dass Kassel am 20.03 zumindest zu einem Schauplatz der deutschlandweiten „Querdenken“-Bewegung wird.
In Kassel laufen die Vorbereitungen augenscheinlich auf Hochtouren. Die ersten Redner*innen und „Künstler*innen“ hätten bereits ihre Teilnahme zugesagt – um wen genau es sich handelt, wird bisher geheim gehalten. Sowohl in Kassel als auch in anderen Städten werden bereits Flyer verteilt, die zur Demonstration mobilisieren. Im Telegram-Infokanal der Kasseler Demonstration sind dabei inzwischen 3000 Personen, im Chat fast 700. Die in Kassel wöchentlich stattfindenden Autokorsos gegen die Corona-Politik waren mit zuletzt über 80 PKW für Kasseler Verhältnisse ebenso gut besucht.
Aktuell wird angekündigt, am 20. März von 12 bis 16 Uhr eine Kundgebung auf dem Königsplatz abhalten zu wollen und anschließend in einer Demonstration durch die Stadt zu ziehen. Diese sei schon angemeldet, eine Route für den Aufzug ist noch nicht veröffentlicht.
Überregionale Mobilisierung
Zu der Versammlung nach Kassel wird mittlerweile auch überregional mobilisiert: die Stuttgarter „Querdenken“-Organisation hat alle Initiativen dazu aufgerufen am 20.03 nach Kassel zu kommen. Hintergrund hierfür bildet eine konkurrierende Großveranstaltung am selben Tag in Berlin, welche jedoch mehr dem Reichsbürger-Spektrum der Bewegung zuzuordnen ist.
Aufgerufen zur Demonstration nach Kassel haben darüber hinaus einige B-Promis der Coronaleugner-Szene sowie der Antisemit Ken Jebsen. Aus mehreren Städten haben sich bereits Busse angekündigt – das Busunternehmen „Kaden-Reisen“ aus Plauen, Teil der „Honk for hope“-Initiative, bietet für den Tag Fahrten nach Kassel an.
Inhaltlich sind die Aufrufe zur Großdemonstration erwartbar dünn. Es gehe um Demokratie, Freiheit, Solidarität und natürlich gegen die aktuellen Coronamaßnahmen. An denen gibt es zwar durchaus vernünftige und berechtigte Kritik, von der angekündigten Großdemonstration werden an dem Tag allerdings nur Verschwörungsmythen zu erwarten sein.
Passend hierzu mobilisieren für den Tag mittlerweile auch „Pegida Kassel“ und Funktionäre der Kasseler AfD. Diese hatte zuletzt auch vor Ort versucht sich an der Bewegung zu beteiligen und versteht sich als ihr parlamentarisches Sprachrohr.
Derzeit gehen wir davon aus, dass von einem Großteil der Demo-Teilnehmer*innen zumindest keine große Gewaltbereitschaft ausgehen wird. Zumindest vereinzelt wird, dafür spricht zumindest die Mobilisierung von AfD und „Pegida Kassel“, die Demonstration wohl auch Neonazis und Faschist*innen anziehen – neben möglicherweise bis zu tausenden Querdenker*innen.
Update vom 16. März 2021:
Obwohl die Mobilisierung – auch durch die überregionale Berichterstattung – in den letzten Wochen nochmal deutlich an Fahrt aufgenommen hat, halten wir grundlegend an unserer bisherigen Einschätzung fest. Dennoch wollen wir einige Punkte ergänzen.
Die Kundgebung am Königsplatz soll um 12 Uhr beginnen und um 16 Uhr enden. Die anschließende Demonstration allerdings soll, laut eigenen Angaben, nicht in der Innenstadt beginnen, sondern am Auedamm. Ob es sich dabei um einen Fehler handelt, oder tatsächlich erstmal alle Teilnehmer*innen vom Königsplatz zu Auedamm laufen sollen, ist unklar. Die angekündigte Route der Demonstration verläuft dann einmal um die Innenstadt herum, vorbei am Nordstadt-Campus, dem Hauptbahnhof, über die Friedrich-Ebert-Straße, am Rathaus vorbei und zurück zum Auedamm.
Schon im ersten Aufruf hieß es von Seiten der Organisator*innen, dass “extremistische, radikale oder illegale und nicht mit dem Rechtsstaat vereinbare” Inhalte auf der Demonstration keinen Platz hätten. Tatsächlich werden in den Telegram-Chats Beiträge, die in der Demonstration den Beginn eines Bürgerkriegs heraufbeschwören, von den Admins zügig wieder gelöscht. Trotzdem zeigt sich dort, dass nicht alle, die sich von der Mobilisierung angesprochen fühlen, die demonstrative Friedfertigkeit teilen.
Mittlerweile rufen zur Teilnahme an der Demonstration in Kassel nicht nur nahezu alle relevanten Querdenken- und Corona-Leugner-Strukturen auf, sondern auch zahlreiche mehr oder weniger bekannte “Prominente” der Szene. Darunter Anselm Lenz, Markus Haintz, Robert F. Kennedy, Jr., Ralf Ludwig, Wolfgang Wodarg, Beate Bahner, unterschiedliche “Künstler*innen” und viele weitere. Es ist also davon auszugehen, dass besonders in den letzten Tagen vor der Demonstration nochmal kräftig die Werbetrommel gerührt wird. Aus mehreren Städten ist eine organisierte Anreise per Bus angekündigt, via Telegram werden Fahrgemeinschaften organisiert.
Konkurrenzveranstaltungen
Neben der Querdenken-Demo in Kassel finden zahlreiche Konkurrenzveranstaltungen am 20. März statt, die teilweise das selbe Publikum ansprechen. Darunter Demonstrationen in Berlin, Potsdam, München, Dortmund und auch die Corona-Leugner-Demonstration in Wien wird vor allem für Personen aus Süddeutschland attraktiv sein. Die für Berlin angekündigte Demonstration wird wahrscheinlich aufgrund der deutlich martialischeren Mobilisierung ein gewaltbereiteres Publikum anziehen.
Das Verbot
Aktuell ist die Demonstration der Querdenker verboten. Das berichtete zumindest die HNA am 15. März. Die Stadt habe die Veranstaltung mit dem Verweis auf ein gesteigertes Infektionsrisiko untersagt. Die Mobilisierung für die Demonstration läuft dessen ungeachtet weiter. Vermutlich wird gegen das Verbot juristisch vorgegangen, sodass es – wie bei klassischen Naziaufmärschen – bis zum Beginn der Veranstaltung selbst unklar ist, ob diese wirklich stattfinden kann und darf. Vergleichbare Großdemonstrationen haben jedoch gezeigt, dass diese von den Querdenkern auch trotz Verbot durchgeführt werden können.
Weltweite Vernetzung
Tatsächlich sieht es derzeit so aus als wäre es den Querdenkern gelungen, sich in zahlreichen anderen Ländern mit Gleichgesinnten zu vernetzen. Sie selbst kündigen an, dass Kundgebungen und Demonstrationen in mindestens 42 anderen Ländern stattfinden würden. Zumindest in den entsprechenden Telegram-Channels, die als Organisationsplattform dienen, scheint es der Wahrheit zu entsprechen, dass sich in den jeweiligen Ländern mindestens Einzelpersonen oder kleinere Gruppen gefunden haben, die auf den Zug aufspringen. Welches Mobilisierungspotential dahinter steht, ist fraglich.
Autokorso am Freitag
Für den Vorabend der Demonstration wird ein Autokorso angekündigt. Dieser soll um 19 Uhr vom Parkplatz Süd an der Damaschkestr. starten. Der Autokorso wird voraussichtlich als Barometer dafür dienen, wie viele Querdenker schon in der Stadt sind und ein erstes Bild davon vermitteln, was uns am Samstag erwartet. Bei den sonst regelmäßig am Freitag stattfindenden Autokorsos aus dem selben Spektrum ließen sich jeweils etwa 80 PKW und eine Handvoll Fahrräder zählen.
Gegenkundgebung
Das Kasseler Bündnis gegen Rechts hat eine Gegenkundgebung auf dem Kasseler Opernplatz angekündigt. Diese beginnt um 11 Uhr. Gegen die Demonstration ist zudem eine Critical Mass geplant. Mehr dazu findet ihr auf der Website des BgR.